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Mexiko, Drogenhandel und Journalismus: schweigen oder sterben?

Mittwoch 13. April, versammelten sich im historischen Hotel Brufani vier Persönlichkeiten, die sich aktiv in der Bekämpfung des Drogenhandels engagieren: Malcolm Beith (Journalist und Autor), Gennaro Carotenuto (Professor an der Universität von Macerata), Cynthia Rodriguez (Journalistin und Autorin) und Anabel Hernández (Journalistin und Autorin).  Jeweils eingeleitet von Cecilia Rinaldini (Giornale Radio Rai) erklärten sie die politische und soziale Lage in Mexiko, die aufgrund der mit dem Drogenhandel verbundenen Korruption und der Machtspiele von Drogenbossen und Politikern nie aufhört ihre Opfer zu fordern.

Rinaldini widmete die ersten Minuten  Zahlen und Daten, die ein perfektes Panorama der Situation wiedergeben, wie zum Beispiel: 40.000 Tote in den letzten vier Jahren (darunter 5.000 Desaparecidos), 14 ermordete Journalisten im Jahr 2010 und nur 2% verfolgte Verbrechen insgesamt.

Danach lieferte Anabel Hernández (die „mexikanische Roberto Saviano“, wie sie in Italien genannt wird) ihren Beitrag. Die Autorin des Buches „Los Señores del Narco“, die wegen Mord-Drohungen unter Eskorte lebt, attackierte die europäische öffentliche Meinung, die nicht die wahre Gefahr und Bedrohung des mexikanischen Drogenhandels erkennt, weil sie sich von der räumlichen Distanz zwischen den Ländern beeinflussen lässt. Hernández benutzte mehrere Male das Wort „global“, um den Ernst der Lage zu verdeutlichen, und äußerte die Meinung, dass Italien die richtigen Voraussetzungen habe, um in eine ähnliche Situation, wie sie in ihrem Heimatland herrscht, zu geraten. Die Mexikanerin erzählte über ihre persönlichen Erfahrungen und  die Verbindungen zwischen Drogenhändlern und Regierung, wo Korruption allgegenwärtig ist.

Schließlich kommentierte sie ihr Buch („Los Señores del Narco“), dessen Umschlag eine Schwarzweiß- Fotografie des größten mexikanischen Drogenhändlers Chapo Guzman zeigt. In diesem Buch listet sie sämtliche Namen Angehöriger verschiedener Kartelle auf. Ihr Ziel ist es unter anderem, den Mythos um Guzman zu vernichten, die Legende eines Mannes, der sich nach seinem Ausbruch aus dem Gefängnis vor zehn Jahren auf der Flucht befindet und noch immer das Sagen im Drogenmilieu hat.

Der Krieg gegen den Drogenhandel, der vom aktuellen Präsidenten Felipe Calderón vor kurzem angekündigt wurde, ist laut Hernández ein hoffnungsloser und falscher Krieg, da ein Teil der Regierung immer noch mit den Drogenbossen zusammenarbeitet.

Weiter sprach sie über Vicente Fox, dessen Ziel es war, sich dem Kartell von Sinaloa anzuschließen und alle anderen Kartelle zu vernichten, um ein riesiges Drogenmonopol zu errichten.

Danach ergriff Cynthia Rodriguez das Wort. Die Journalistin, die sich mit Verbindungen zwischen mexikanischen Drogenhändlern und italienischer ‘ndrangheta beschäftigt, meinte, das mexikanische Problem sei in der Lage, die Welt zu verändern, so wie einst Kolumbien das tat. Die mexikanische Journalistin griff auf Daten und Statistiken zurück, um nochmals die Macht dieses Milieus zu verdeutlichen. Für jedes Gramm Kokain, das in Mailand verbraucht wird (die norditalienische Stadt verzeichnet den höchsten Kokain-Konsum Europas), sterben Menschen in Lateinamerika. 46% der Ermordeten sterben von ihrem vierzigsten Lebensjahr, und mehr als 1.000 von ihnen sind nicht einmal 18 Jahre alt.

Information sei sehr wichtig, meinte sie, aber 80% der Information erfolgt über Internet, und das sei sehr gefährlich. Social Networks wie Facebook oder Twitter können aber dennoch nützliche Wege sein, um soziale Probleme anzuprangern. Die einzige wirkliche Lösung wäre es, in Bildung und Kultur zu investieren.

Der US-Amerikaner Malcolm Beith (Autor von „The last Narco“) schilderte seine Zeit als Journalist in Mexiko, in der ihm sein Vorgesetzter bei einer kleinen Lokalzeitung die Veröffentlichung  von Artikeln über die Kartelle verbot. Beith sagte in klaren Worten, der Tod von Chapo Guzman würde nicht zwangsläufig  das Ende des Drogenhandels bedeuten, wohl aber das Ende eines Mythos, was das Problem drastisch  verändern würde. Der US-amerikanische Journalist und Autor definierte Guzman als „Osama bin Laden des Drogenhandels“, aber im Endeffekt auch als letzten großen Drogenboss.

Ganz anders wiederum wurde Guzman vom Universitätsprofessor Gennaro Carotenuto beschrieben: „Guzman ist der modernste unter den neoliberalen Unternehmern“. Der Professor für Geschichte des Journalismus analysierte aber nicht die Figur Guzmans selbst, sondern die Entwicklung von Ciudad Juarez, das „größte öffentliche Grab für Drogentote“, und wie es eine „moderne“ Stadt wurde. 1970 wurde es von nur  300.000 Personen bewohnt, heute sind es über 1,5 Millionen. Ciudad Juarez ist das „mexikanische Lampedusa“ (wie ein Italiener sagen würde), es repräsentiert die symbolische Grenze zwischen Nord und Süd, zwischen arm und reich. Um die Zusammenarbeit zwischen Vereinigten Staaten und Mexiko zu vertiefen, so erklärte Carotenuto, wurden in den Neunzigern 90% der US-amerikanischen Fernsehapparate in Mexiko gebaut. Um dies zu ermöglichen, bot die mexikanische Regierung Arbeitsplätze an, die vor allem von Frauen belegt wurden, die so der Armut ein wenig zu entkommen suchten. Dies führte zu einer raschen Erhöhung der Einwohnerzahl von Ciudad Juarez, was zwar die Stadt erweiterte, die Struktur der Gesellschaft jedoch kaum veränderte. Die heutige Anzahl der Hochschulen in Ciudad Juarez ist dieselbe wie 1970, als die Stadt noch 300.000 Einwohner zählte. Diese negierte Chance zur Bildung zwingt junge Leute dazu, ihre  Zukunft im Drogenhandel zu sehen. Man bedenke, dass  ¾ der Toten die Söhne jener Arbeiterrinnen sind, die vor 20 Jahren begannen, Fernsehapparate zu montieren.

In seinem langen Bericht über Ciudad Juarez erwähnte Carotenuto vor allem zwei Jahreszahlen: 1994 und 2005. Die erste bedeutet den Eintritt Mexikos in die Industriestaaten der Welt, unter denen aber das Land, das bis dahin nur von Landwirtschaft gelebt hatte, nicht mit fairen Mitteln mithalten konnte. 2005 dagegen nahm  ganz Lateinamerika in Mar del Plata gegen diese Position in der Ersten Welt Stellung. Ziel des damaligen US-amerikanischen Präsidenten George W. Bush war es, die Mexikaner zu manipulieren und für die Vereinigten Staaten arbeiten zu lassen, unter menschenunwürdigen Bedingungen und bei niedrigstem Gehalt, wie es in China für die Wirtschaftswelt immer noch praktiziert wird.

Mattia Scassellati

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